Andreas H. Buchwald hat es auf den Punkt gebracht, was wir vom Vienna-Journal vermitteln wollten.
(Achtung: Die folgenden Zeilen sind nur für Betroffene geeignet!)
So gut wie allen, die Bücher schreiben, passiert das, manchmal öfter, manchmal nur gelegentlich. Man kommt mit Menschen ins Gespräch, denen von weitem schon anzumerken ist, dass sie nie oder nur sehr selten ein Buch kaufen. Sie stellen sich vor den Messestand oder sonstigen Büchertisch, nehmen einen beliebigen Band zerstreut und skeptisch in die Hand, blättern und fragen: „Kann man davon leben?“
Vor einigen Jahren noch störte mich das gewaltig, und wenn es sich leicht machen ließ, drehte ich mich weg und ging einfach. Jetzt gebe ich meistens freundlich zur Antwort: „Sie nicht, aber ich schon.“
Und so ist es. Was heißt denn LEBEN? Viel konsumieren, ein protziges Auto fahren, jedes Jahr in die Karibik düsen?
Und wer ist „man“? Irgendwer. Ich jedenfalls nicht.
Was mich betrifft, so empfinde ich LEBEN etwa wie: intensiv fühlen, jeden Augenblick erfüllt und neu wahrnehmen, ganz und gar da sein, hier und jetzt, LIEBEN. Dazu brauche ich keine Überholspur, keine Statussymbole, keinen 1. Platz auf der Bestseller-Liste oder bei Amazon, keine Million Euro, Pesos, Dollar oder Yüan, keine Talkshow-Einladung, keine „Erleuchtung“ oder die Einbildung vollendeter Göttlichkeit. Dafür genügt es völlig, der zu sein, der ich bin. Mit allen Stärken und Schwächen, allen Licht- und Schattenseiten. Ich muss nicht einmal ein besonderes Ziel erreichen, sondern bin einfach nur unterwegs, gut durchblutet und am Leben.
Der Mensch kann nur tun, was ihm JETZT und HIER möglich ist, in den Grenzen – ja, es sind Grenzen! – seiner Körperlichkeit. Wenn er nicht auf einem Weltbild oder Entwicklungspunkt verharrt, wird er kurz vor seinem Tod umfassender geworden sein, größer. Ganz von selbst. Wachstum nennt man das. Die Bäume machen es vor, alle anderen Lebewesen auch. Da ist kein Tschakaa! nötig, kein Von-Null-auf-Hundert-in-zwei-Sekunden, kein Du-bist-alles-und-kannst-alles.
Ich schreibe eben und fühle mich dabei erfüllter als bei jeder anderen Tätigkeit sonst. Deshalb schreibe ich und kann sagen, dass ich davon lebe (mich richtig lebendig fühle). Der Leser spürt es, und wenn er voll einsteigt, macht auch ihn das lebendiger. Er liest mit Freude und Kribbeln im Bauch; er nimmt das Geschenk meines Lebens an.
Wenn es dabei Schwierigkeiten gibt, finanzieller oder anderer Art, bewältige ich sie am besten, wenn ich mit ihnen Frieden schließe. Sie haben ihren Sinn, lehren mich oft Aspekte, die ich im bequemen Dahindämmern nie bemerkt hätte, lassen mich umfassender wahrnehmen. (Was ich wiederum brauche, um weiter wirklich lebendig schreiben zu können!)
Äußerer Mangel ist – für mich jedenfalls – kein „Irrtum im Geist“, wie es einige Gurus postulieren, sondern sinnvolle Beschränkung auf das Wesentliche. Große Dichter und Schriftsteller der Vergangenheit brauchten die Klausur, das Zurückgezogensein. Bequemlichkeit und ständige Zerstreuungen lassen oberflächliche Texte entstehen, nicht selten langweilige. Wenn einer einen Bestseller gelandet hat und deshalb mit Druck des Verlages weiterschreibt, ist das, was dann folgt, meistens nicht mehr so gut, wird manchmal geradezu schlampig. Das Orm verschwindet (wie es Walter Moers ausdrücken würde und höchstpersönlich erlebt hat).
Auch das ist keine Regel, kein Gesetz. Jeder Mensch ist anders, jeder Schriftsteller ebenfalls. Wahrscheinlich auch jede der mehr als acht Milliarden Auffassungen von LEBEN.
Danke Andreas für diesen Artikel