Literatur ist Schönheit

Zumindest dann, wenn sie diese Bezeichnung verdient. Das ist zwar kein Gesetz, aber das, wovon ich zutiefst überzeugt bin. Deshalb haben gute Romane und Erzählungen nicht nur Struktur, sondern auch Stil und Energie (Strahlkraft). Sie sollten den Leser auf allen Ebenen packen und nicht allein seinen Verstand kitzeln.
Selbstverständlich gibt es so etwas wie Geschmack, das subjektive Empfinden für das, was für mich schön ist. Was mich begeistert und vom Hocker reißt. Und es kann sein, daß es für dich oder ihn oder sie etwas völlig anderes ist.
Insgesamt unterliegt Kunst der persönlichen Wahl. Nur wenige, die Mozart mögen, finden Rammstein gut, aber einige können beiden etwas abgewinnen. In den Gefilden der Literatur sind die Gräben unter Umständen breiter, und wer einmal Hermann Hesse und Franz Werfel las, ist einigermaßen verwöhnt und wird einem, der sich dem Denglischen und dessen verarmtem Wortschatz verschrieben hat, kaum noch Aufmerksamkeit schenken.
Dennoch gibt es – auch das ist kein Dogma, sondern nur meine Überzeugung – eine Art „Richtschnur“ des Schönen, und die liegt dort, wo wir das Wort „authentisch“ bemühen. Womit wir das mit sich selbst Harmonische meinen, etwas, bei dem die Quelle und das daraus Fließende übereinstimmen, zueinander passen. Es hat die oben erwähnte Kraft, weil es eben einfach „stimmig“ ist. Es braucht keine Aufmerksamkeit einzufordern, weil sie ihm von selbst entgegengebracht wird. Deshalb gibt es das Phänomen der Naturtalente, der Menschen, denen etwas sozusagen in die Wiege gelegt wurde, was andere sich nur mühsam aneignen können. Allein der Gedanke, daß ein Jack London hätte studieren müssen, bevor er fähig gewesen wäre, seinen Seewolf zu schreiben, wirkt lächerlich. Trotzdem lernte und las er wie ein Wahnsinniger, getrieben von seiner eigenen Leidenschaft und Wißbegier.
Was heute nun oft geschieht (und beileibe nicht nur im Bereich der Literatur), ist, daß nicht Kunst auf den Sockel gehoben wird, sondern Künstliches. Nicht das Echte und Authentische, sondern das Gemachte, das nach Aufmerksamkeit Schreiende. Die neuen Kleider des Kaisers, die keine sind. (Das darf jedoch nur ein Kind laut sagen.)
Wer Künstliches produziert, bemüht nicht die Quelle, die in ihm selbst liegt, sondern fragt nach dem wahrscheinlichen und vermuteten Geschmack der Vielen. Denen er es recht machen will, um deren Aufmerksamkeit er bettelt. Und da uns jeder Werbespezialist aufzeigen kann, wie viele tausend Wege es gibt, um die „Massen“ zu verlocken und zu verführen, glauben wir ihm meistens auch den Rest und halten das Künstliche für wahre Kunst. Obwohl man beim näheren Hinsehen und Hinspüren leicht bemerken kann, daß es nicht von Können kommt.
Das Künstliche muß immer übertroffen werden. Wenn ich besser sein will als einer, der nach Aufmerksamkeit schreit und sie dadurch bekommt, habe ich nur dann eine Chance, wenn ich lauter schreie. Mein Künstliches (in diesem Fall das, was ich schreibe) muß greller erscheinen, schräger, blutiger, perverser …Doch irgendwann habe ich das Ende der Fahnenstange erreicht Dann gähnen die Leute, weil sie schon nach den ersten drei Sätzen wissen, was kommt und woher der Wind weht.
Künstliches zu erzeugen strengt an.
Das Authentische und rein dadurch Schöne braucht all das nicht. Es ist im Grunde natürlich. Obwohl es darauf verzichtet, als Sensation aufzutreten, kommt man nicht leicht daran vorbei. So, wie man eben auf Dauer auch nicht an der Wahrheit vorbeikommt.
Wenn ich in der Lage bin, das Leben auszudrücken und zu beschreiben, so, wie ich es empfinde (und nicht, wie ich meine, daß es sein sollte oder andere es dargestellt haben wollen), kann ich schöne Literatur schaffen. Sie ist deshalb nicht zu übertreffen, weil sie für sich steht, und sie wird diejenigen anziehen, die das Ehrliche mögen. Und sie wird allein deshalb nie langweilig werden, weil sie ist wie das Leben selbst: unberechenbar.

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