“Café zum roten Hering” im Lessingtheater
Ein Theaterbesuch, der unter die Haut geht – so lässt sich “Café zum roten Hering” im Lessingtheater am Rennweg beschreiben. Unter der einfühlsamen Regie von Sebastian Merkl, der auch das Stück geschrieben hat, entfaltet sich eine Geschichte, die schmerzhaft ehrlich und doch voller poetischer Schönheit ist. Es ist ein Abend, der nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern auch tief im Herzen berührt.
Schon der Titel “Café zum roten Hering” klingt nach einem Ort, an dem die Wirklichkeit sich biegt und Fantasie zur Zuflucht wird. Genau das erleben wir mit Theo, Moritz und Lily, drei Seelen, die vor einer unsäglichen Wahrheit fliehen. Man spürt förmlich, wie sie sich nach diesem sicheren Hafen sehnen, nach einem Ort, an dem der pflichtbewusste Kellner Josef noch die Welt in Ordnung hält. Doch Sebastian Merkl lässt uns in seiner Inszenierung nicht in Sicherheit wiegen. Er zieht uns stattdessen mit sanfter Gewalt in das Strudeln ihrer Erinnerungen, Ängste und sehnsüchtigen Wunschvorstellungen. Es ist, als würde man in die Psyche eines Menschen blicken, der versucht, sich vor dem Unerträglichen zu schützen.
Besonders bewegend ist die Art, wie das Stück die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) greifbar macht, ohne je didaktisch zu wirken. Wir sehen nicht nur Symptome, sondern fühlen die innere Zerrissenheit der Figuren, ihre verzweifelte Suche nach Halt in einer Welt, die ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Die Flucht in Fantasiewelten wird hier nicht als einfacher Eskapismus dargestellt, sondern als ein Überlebensmechanismus, ein verzweifelter Versuch, die Fragmente der Seele zusammenzuhalten.
Das Zusammenspiel des Ensembles ist schlichtweg beeindruckend. Hannah Ankenbrand, Patrik Meidlinger, Valentin Beran und Sebastian Merkl selbst schaffen es, ihren Figuren eine solche Authentizität und Verletzlichkeit zu verleihen, dass man sich unweigerlich mit ihnen verbunden fühlt. Man leidet mit ihnen, man hofft mit ihnen, und man spürt die Last, die sie tragen. Die feinen Nuancen in ihren Darstellungen lassen die komplexen inneren Welten der Charaktere lebendig werden und zeugen von einer tiefen Empathie für die Thematik. Merkls Regie ist hier Gold wert: Er schafft eine Atmosphäre, in der die Schwere des Themas trotz aller emotionalen Intensität auch Raum für einen leisen, manchmal auch schmerzhaften Humor lässt, ohne je respektlos zu sein.
“Café zum roten Hering” ist ein Zeugnis für die Kraft des Theaters, komplexe und oft unsichtbare Leiden sichtbar zu machen. Es ist eine Hommage an die Widerstandsfähigkeit der menschlichen Seele und ein Aufruf zur Empathie. Wer das Lessingtheater verlässt, tut dies nicht unberührt. Das Stück hallt nach, es regt zum Nachdenken an und erinnert uns daran, wie wichtig es ist, die Geschichten derer zu hören, die im Stillen kämpfen. Ein Abend, den man nicht so schnell vergessen wird.
Fotos: H. Sagmeister u. M. Wieser