ANGESICHTS DER NEUEN KULTURREVOLUTION

Der Großverlag Ravensburger stoppt den Verkauf des Kinderbuches Der junge Häuptling Winnetou, einer nicht einmal allzu bedeutenden Veröffentlichung, aber einer, die die Aufmerksamkeit unmittelbar auf das Gesamtwerk Karl Mays und dessen Botschaften lenkt. Besonders als Schriftsteller fühle ich mich betroffen, aber als Verleger auch. Die Sache einfach nur schweigend zu beobachten und ungeachtet des Sturmes vorwärts zu gehen, halte ich zwar für die beste Lösung, doch so ganz still kann ich mich in dieser Sache auch nicht verhalten.
Schließlich gehören wir ebenfalls zu denen, die teilweise Literatur vertreiben, die unter den neuen Index fallen würde. Wie lange wird es dauern, bis man mir selbst ähnliche Vorwürfe macht wie dem alten Karl May? Ich werde mich aber kaum von meinen eigenen Werken distanzieren, obwohl jedes Buch, einmal geschrieben, nicht mehr am Verfasser klebt, sondern ebenfalls seinen Weg geht. Jeder Leser schreibt es noch einmal für sich, im Geist natürlich. Jeder sieht einen eigenen Film dabei.
Nun habe ich sehr viel schon gelesen und muß sogar gestehen, daß ich über einen längeren Zeitraum Chingachgook, Uncas und Falkenauge besser kannte als Winntou. Denn ich hatte mich zunächst mit James F. Cooper befaßt, oft auch mit Friedrich Gerstäcker, Robert L. Stevenson und Jules Verne, bevor mir das erste Buch von Karl May in die Hände fiel. Spät erst las ich DER SCHATZ IM SILBERSEE, OLD SUREHAND und noch zwei oder drei andere, mehr kamen aber nie zusammen. War schon mindestens achtzehn oder neunzehn, als ich das tat, in der Graumaus-Republik lagen diese Bücher nicht in den Buchhandlungen herum. Obwohl ich ihm einige völkerkundliche Pauschalisierungen vorwarf, konnte ich gewisse Schattenseiten gut wegstecken, denn ich empfand die Geschichten des Lebensabenteurers aus Hohenstein-Ernstthal so ähnlich wie die des Franzosen Jules Verne, grundsätzlich mit der Vision beseelt, der Mensch werde sich eine lebenswertere Erde schaffen. Ein besonderes Aha-Erlebnis für mich war Karl Mays Selbstbiographie (ICH – Karl May, Leben und Werk).
In mehr als einer Hinsicht war er wohl kulturprägend. Deshalb meinen die selbsternannten Kulturrevolutionäre, sie müßten ihn nun stürzen. Wird wohl nichts werden. Wenn jemand auf angenehme Weise junge Menschen lehren konnte, andere Kulturen und andere religiöse Auffassungen nicht nur zu achten, sondern gemeinsame Schnittmengen in ihnen zu erkennen, dann war es Karl May, trotz aller noch spürbaren Engführungen seiner Zeit. In der DDR lernten wir im Literaturunterricht der Schule, seine Bücher seien „imperialistischer Kitsch“. Na und? Sie wurden antiquarisch mit ziemlich hohen Preisen gehandelt, bis sie in den späten Achtzigern erstmals einige „Gnadenauflagen“ bekamen.
Alles, was verboten wird, bekommt eine Aufwertung in der allgemeinen Beachtung. Das war früher so und ist es heute auch noch. Und wenn wir jetzt als Verlag klug handeln wollen, sollten wir zusehen, günstig an die Herausgaberechte zu gelangen.
Das Profil, das wir inzwischen aufgebaut haben, läßt uns zwar davon Abstand nehmen, aber insgesamt ist es schon hilfreich, wenn einem auf diese Weise gewissermaßen Vermarktungswegweiser gegeben werden. Ein paar wenige Karl-May-Bände haben wir in unserem kleinen Antiquariat bei den WORTAKROBATEN in Lengenfeld. Vielleicht sollten die Preise, zu denen wir sie anbieten, noch ein Stück nach oben korrigiert werden. Vielleicht aber lassen wir das auch. Es ist einfach schön, wenn den Kleinen – besser: den Heranwachsenden – durch solche Entwicklungen bessere Chancen eingeräumt werden. Gute Kinderbücher bietet eben nicht nur Ravensburger.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich meinen Novellentitel DER TANGOZIGEUNER verändern werde, er paßt einfach zum Inhalt. An Inhalten sind aber die Bilderstürmer nicht interessiert, nur die Verpackungsaufschriften bringen sie auf die Palme. (Ist diese Wendung – „auf die Palme“ – nicht auch „rassistisch“, weil an südliche Länder gemahnend?)
Früher sagten wir zuweilen: „Wenn Dummheit klein machen würde, würden manche auf Stelzen unter dem Teppich laufen.“ Denken wir einfach, das sei so, und schon sehen wir die Verrückten nicht mehr.
Allerdings weisen sie uns auf unsere Schätze hin, lenken unsere Aufmerksamkeit darauf. Wir hatten sie fast schon vergessen. Deshalb möchte ich mich hiermit in aller Form bei den Kulturrevolutionären bedanken.
Lengenfeld, 26. August 2022
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