Allergie – Das Accessoire des Großstädters

Wien – Natürlicher Lebensraum des gemeinen Allergikers. Fast ein Drittel aller Wiener weist bereits Spuren von Überempfindlichkeit irgendeiner Art auf und die Zahlen steigen weiter.Jeden Morgen steht der Allergiker auf, säubert sich mit wohltuender Chemie aus der Flasche, wirft ein oder zwei Allergietabletten ein, frühstückt eine Portion Geschmacksverstärker oder etwas gespritztes Obst, holt noch einmal tief Luft durch seinen Asthmaspray, packt noch drei Packungen Taschentücher ein und geht vor die Tür, um sich seine tägliche Dosis an Abgasen und Pollen zuzuführen. Anschließend setzt er sich im Durchschnitt 38 Stunden pro Woche dem Dauerstress an seinem Arbeitsplatz aus und kommt am Abend nach Hause, um am nächsten Tag alles wieder von vorne zu starten. Und weil der gemeine Allergiker stets in der Hoffnung lebt, eines Tages auch im Frühling der Natur gegenübertreten zu können, ohne vorher den obligatorischen Blick in den Pollenflugkalender zu werfen, führt ihn sein Weg in die Hände der Medizin.

Neben der allseits bekannten Einnahme von Tabletten, Nasensprays, Augentropfen etc., die der Allergiker bereits in so hohen Dosen konsumiert, dass er in seiner Hausapotheke mit Namen angesprochen wird, bietet das Buffet der Allergiebekämpfung auch noch Cortisonspritzen an. Wer die Möglichkeit einer lebenslangen Allergiefreiheit ergreifen möchte, sollte die Methode der Hyposensibilisierung in Betracht ziehen: Monatliches Spritzen von Allergenen, die eventuell zum Schockzustand führen, verteilt über einen Zeitraum von drei Jahren. Achtung! Erfolg nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft noch nicht garantiert… Aber wer liest schon das Kleingedruckte? Der gesundheitsbewusste Allergiker tut dies sehr wohl und entscheidet sich für alternative Heilpraktiken. Auch auf diesem Gebiet zeigt sich Wien als El Dorado an Spezialisten. Von Homöopathie über Akupunktur bis hin zur Eigenblut-Therapie besteht eine Vielzahl an Angeboten. Damit der Allergiker aber auch nicht vergisst, dass alles, was auf Natur basiert, nunmal seinen Preis hat, wird ihn die Krankenkasse freundlich informieren, dass diese Behandlungen ihrerseits in der Regel nicht unterstützt werden.

Das soll jedoch kein Grund zur Sorge sein, denn abseits von allen Fremdbehandlungen erklärt uns die Wissenschaft, dass der Allergiker auch selbst Mittel und Wege hat, um sich seine Situation so angenehm wie möglich zu machen: Zu starken Pollenflugzeiten wenig bis gar nicht das Haus verlassen und falls doch, nach jedem Ausgang die Haare waschen, die Raumtemperatur auf kühle 15 Grad herabsenken, damit die Hausstaubmilben frieren und schließlich die Fenster nur noch zwischen sechs und acht Uhr morgens öffnen, da zu dieser Zeit die Pollenbelastung am geringsten ist.

Und damit er auch daran erinnert wird, dass es eigentlich wiedermal die Gesellschaft ist, die Schuld an allem hat, schließen wir mit dem Argument ab, das jeden Allergiker vor Beifall Applaudieren lässt: „Das ist doch eh alles nur Einbildung, früher war auch keiner allergisch!“

J. Wenger

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