„I, Tonya“ – Filmkritik

Wer ist Tonya Harding wirklich?

In wenigen Tagen (23.03.) kommt mit „I, Tonya“ jene oscarprämierte Filmbiografie in die österreichischen Kinos, die das alles andere als leichte Leben von Tonya Harding zeigt. Mit viel schwarzem Humor, außergewöhnlichen Stilmitteln, sowie actionreichen Szenen, nimmt der Regisseur Craig Gillespie das Publikum auf eine spannende Reise in die Psyche eines ehemaligen Stars und dessen Umfeld mit. In der Hauptrolle ist die herausragende Margot Robbie zu sehen. An ihrer Seite brillieren Allison Janney und Sebastian Stan.

Kaum jemandem ist die Geschichte rund um die beiden Eiskunstläuferinnen Tonya Harding und Nancy Kerrigan und dem „Vorfall“ nicht bekannt. Kurz vor den US-amerikanischen Meisterschaften 1994 wurde Nancy, der damals härtesten Konkurrentin von Tonya, mit einer Eisenstange auf das Knie geschlagen. Der Auftraggeber: Tonyas Ex-Ehemann Jeff Gillooly. Der Film stellt sich nun der Frage, die eine Nation seit fast 25 Jahren bewegt: Wie viel wusste Tonya tatsächlich? Er gibt darauf eine gleichermaßen subjektive wie ambivalente Antwort. Denn, wenn man dem Film glauben darf, lief zu jener Zeit alles anders als geplant ab. Die große Vertrauensfrage wird durch das Heranziehen von Interviews und das Hervorheben der individuellen, subjektiven Geschichten aller Beteiligten in Form von Interviews an den Zuschauer weitergegeben. Mit wem er sympathisiert und wen er für glaubwürdig hält, wird ihm überlassen.

Lavona (Allison Janney) bringt ihre Tochter Tonya von klein auf zum Training.

Der Film „I, Tonya“ geht jedoch vordergründig der Frage nach, wer Tonya wirklich ist. Der Regisseur Craig Gillespie versucht ein beunruhigendes psychologisches Profil von Tonya Harding zu zeichnen und bedient sich hierbei geschickt des Stilmittels der Durchbrechung der vierten Wand. Durch die direkte Ansprache des Publikums und dem scheinbar direkten Blick in dessen Augen, fühlt es sich, noch deutlich mehr als in anderen Filmen in die Gefühlswelt der Figuren mit einbezogen. Von klein auf dazu gezwungen Leistungssport zu betreiben, findet sich Tonya in einem Kreislauf aus Training, Schule und Gewalt wieder – wobei für die Schule schon bald kein Platz mehr ist. Nach acht Stunden täglich am Eislaufplatz wird Tonya auch noch zu Hause von ihrer Mutter Lavona, die ihr weniges Geld und all ihre Zeit in Tonyas Ausbildung steckt, physisch und psychisch angegriffen. Mit 15 Jahren trifft sie Jeff – ihren späteren Ehemann – der sich noch deutlich brutaler an Tonya vergeht. Trotz wiederholter Trennungen, kehrt Tonya stets zu ihm zurück. Aus diesem Strudel der Gewalt scheint sie sich selbst mit dem Eiskunstlauf, der ihr keine finanzielle Absicherung bringt, nicht befreien zu können. So steht – noch mehr als das Attentat auf Nancy Kerrigan und Tonyas herausragender Leistung, als erste US-Amerikanerin den Dreifach-Axel gesprungen zu sein – die fast omnipräsente physische Gewalt im Zentrum des Films.

Als Siegerin der US-amerikanischen Meisterschaften strahlt Tonya (Margot Robbie) noch.

Diesem ernsten Thema nähern sich Regisseur Craig Gillespie und Drehbuchautor Steven Rogers mit viel schwarzem Humor an, das dadurch, dank dem oftmaligen Brechen der vierten Wand in ausgewählten Szenen, jedoch keinesfalls an Ernsthaftigkeit verliert. Wenig überraschend passte Tonya mit ihrem sozialen Hintergrund und selbst geschneiderten Kostümen nicht in das Bild der gut ausgebildeten und wohlhabenden Mädchen, das (bis heute) im Eiskunstlauf kultiviert wird. Auf geradezu perfekte Art und Weise verkörpert Margot Robbie („The Wolf of Wall Street“ (2013)) eben diese junge Frau, die einerseits regelmäßig mit ihrer Ausdrucksweise und Attitüde die Jury bei Bewerben schockiert und andererseits zu Hause von ihrer Mutter drangsaliert und von ihrem Freund und späteren Mann verprügelt wird. Ebenso wie Margot Robbie, hat sich auch Allison Janney („Mom“ (2013-)) für ihre Darstellung der Lavona Harding, ihre Oscarnominierung mehr als verdient. Als gnadenlose Mutter, treibt sie ihre Tochter regelmäßig mit miesen Sprüchen zu Höchstleistungen an. In der Rolle des gewalttätigen Ehemannes wurde Sebastian Stan („Gossip Girl“ (2007-2012)) gecastet, der, trotz seiner offensichtlichen Involviertheit in das Attentat auf Nancy Kerrigan, nicht als der zentrale Bösewicht erscheint.

Kurze Zeit später steht Tonya (Margot Robbie) mit Jeff (Sebastian Stan) vor Gericht.

Insgesamt ist „I, Tonya“ eine bitterböse, spannungsgeladene Filmbiographie, die mit viel schwarzem Humor keinesfalls versucht die „wahre“ Geschichte rund um den „Vorfall“ zwischen Tonya und Nancy zu erzählen. Vielmehr werden mit Hilfe von Interviews diverse Blickwinkel auf die Geschehnisse und das Leben von Tonya geworfen. Durch das Heranziehen spezieller filmischer Stilmittel, lässt der Film nicht nur das Herz von Cineasten höherschlagen, sondern dürfte durch seine energiegeladene und spannend inszenierte Handlung auch ein sehr breites Publikum ansprechen.

 

Text: Barbara Klaus

Bilder: © Thimfilm

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